Ratgeber

Selektiver Mutismus bei Kindern

Symptome, Ursachen und Behandlungsansätze im Kindergartenkontext
HeyAva Redaktion
10 Minuten
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Aktualisiert am:
July 17, 2023

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Selektiver Mutismus bei Kindern

Einführung in das Thema Mutismus

Als ErzieherIn begegnen wir einer Vielzahl von Verhaltensweisen und Kommunikationsstilen bei Kindern. Eine der herausforderndsten ist der sogenannte Mutismus, insbesondere in seinen Formen des selektiven und elektiven Mutismus. Das Verständnis dieser Störungen und ihrer Behandlungsmöglichkeiten ist für die pädagogische Praxis von großer Bedeutung.

Mutismus wird oft als psychogenes Schweigen bezeichnet. Es handelt sich dabei um eine Kommunikationsstörung, bei der die betroffene Person, obwohl sie körperlich in der Lage ist, nicht spricht. Die Gründe für das Nichtsprechen sind nicht physischer Natur, sondern gehen in der Regel auf eine tiefgreifende Angst zurück. Diese Angst verhindert das Sprechen in bestimmten Situationen oder in Anwesenheit bestimmter Personengruppen. Die Störung tritt häufig zwischen dem 3. und 4. Lebensjahr oder sogar erst bei Schuleintritt auf.

Unterscheidung von Elektivem-, Selektivem-Mutismus und Totalen-Mutismus

Der elektive oder selektive Mutismus ist eine Form des Mutismus, bei der das betroffene Kind nur unter bestimmten Bedingungen nicht spricht. Dies kann beispielsweise in bestimmten Situationen oder in Anwesenheit bestimmter Personen der Fall sein. Im Gegensatz dazu steht der totale Mutismus, bei dem das Kind, obwohl es physisch in der Lage wäre zu sprechen, vollständig schweigt. Eine weitere Form ist der akinetische Mutismus, der auf neurologische Schädigungen oder Störungen des Gehirns zurückgeht.

Obwohl es eine gewisse Variabilität gibt, schätzt man, dass etwa 0,7% der Bevölkerung von selektivem Mutismus betroffen sind. Mädchen sind dabei etwa doppelt so häufig betroffen wie Jungen.

Die Ursachen für selektiven Mutismus sind vielfältig und können nicht auf einen einzigen Faktor zurückgeführt werden. Es handelt sich nicht um ein bewusstes Schweigen, sondern um eine tief sitzende Angst, die das Sprechen verhindert. Dazu können verschiedene Risikofaktoren wie Bindungsunsicherheit, Bilingualität, Bikulturalität oder Sprachentwicklungsstörungen beitragen.

Selektiver Mutismus unterscheidet sich deutlich von Schüchternheit. Während ein schüchternes Kind Strategien entwickelt, um mit der Situation umzugehen, kann ein mutistisches Kind in gewissen Situationen weder verbal noch nonverbal kommunizieren.

Im Kindergartenkontext äußert sich selektiver Mutismus oft durch die Weigerung des Kindes zu sprechen, während es in anderen Umgebungen wie zu Hause normalerweise problemlos kommuniziert. Dies kann sowohl für das Kind als auch für die Betreuungspersonen und andere Kinder frustrierend und verwirrend sein.

Es gibt verschiedene Ansätze zur Behandlung von selektivem Mutismus. Eine multidisziplinäre Herangehensweise, die sowohl therapeutische als auch schulische und familiäre Interventionen beinhaltet, zeigt oft die besten Ergebnisse. Kognitive Verhaltenstherapie kann dazu beitragen, das Schweigen zu brechen und die Angst vor der Kommunikation zu mindern. In manchen Fällen können auch medikamentöse Behandlungen in Erwägung gezogen werden.

Die Rolle der ErzieherInnen in diesem Prozess ist entscheidend. Ihre Fähigkeit, die Anzeichen von selektivem Mutismus zu erkennen, ein unterstützendes Umfeld zu schaffen und die geeigneten Fachleute zu involvieren, kann den Heilungsprozess erheblich erleichtern. Es ist wichtig, dass ErzieherInnen sich Zeit nehmen, um die individuellen Kommunikationsstile und Bedürfnisse jedes Kindes zu verstehen und ihnen dabei zu helfen, sich in ihrer eigenen Zeit und auf ihre eigene Weise auszudrücken. Dies kann das Selbstvertrauen des Kindes stärken und es ermutigen, seine Stimme zu finden und zu nutzen.

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Akinetischer Mutismus

Akinetischer Mutismus ist ein seltener neurologischer Zustand, bei dem Patienten wenig oder keine Bewegung oder Sprache zeigen. Es unterscheidet sich vom selektiven Mutismus, einem Angstzustand, bei dem Menschen in bestimmten sozialen Situationen nicht sprechen. Akinetischer Mutismus tritt normalerweise als Folge einer schweren Hirnschädigung auf.
Im Gegensatz zum selektiven Mutismus, der psychologische Ursachen hat, ist der akinetische Mutismus auf eine direkte Schädigung des Gehirns zurückzuführen. Der Zustand tritt am häufigsten auf nach:

  • Schweren Kopfverletzungen
  • Schlaganfall
  • Hirntumoren
  • Infektionen des Zentralnervensystems, wie Enzephalitis oder Meningitis

Patienten mit akinetischem Mutismus liegen oft still und reagieren nicht auf ihre Umgebung, obwohl sie möglicherweise noch wach und bewusst sind. Sie können auch motorische oder sensorische Defizite haben, wie eine verringerte Reaktion auf Schmerz oder Temperatur. Die Fähigkeit zu sprechen oder sich zu bewegen ist stark eingeschränkt oder völlig abwesend.

Die Behandlung von akinetischem Mutismus konzentriert sich normalerweise auf die Behandlung der zugrunde liegenden Ursache, wie z.B. das Entfernen eines Tumors oder die Behandlung einer Infektion. Unterstützende Maßnahmen wie Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie können auch helfen, motorische und sprachliche Fähigkeiten wiederherzustellen.

Insgesamt ist der akinetische Mutismus ein ernsthafter Zustand, der spezialisierte medizinische und rehabilitative Pflege erfordert. Da der akinetische Mutismus meist auf eine schwere Hirnschädigung zurückzuführen ist, ist die Prognose oft ungewiss und hängt stark von der Schwere und Lokalisation der Gehirnschädigung sowie von der allgemeinen Gesundheit und dem Alter des Patienten ab.

Prävalenz von Mutismus

Die Prävalenz von Mutismus ist ein weiteres relevantes Thema. Selektiver Mutismus ist ein seltenes Phänomen. Die aktuellen Zahlen zeigen, dass etwa 0,7% der Kinder davon betroffen sind, was 7 von 1000 Kindern entspricht. Interessanterweise sind Mädchen etwa doppelt so häufig betroffen wie Jungen.
Die Ursachen für diesen geschlechtsspezifischen Unterschied sind nicht klar, könnten jedoch mit den unterschiedlichen Wegen zusammenhängen, wie Mädchen und Jungen auf Stress und Angst reagieren. Mädchen können eher dazu neigen, ihre Ängste nach innen zu richten und sich zurückzuziehen, während Jungen möglicherweise eher äußere Verhaltensweisen zeigen.

Die Diagnose des selektiven Mutismus wird häufig im frühen Schulalter gestellt, wenn Kinder erwartet werden, in einer Vielzahl von sozialen Kontexten zu interagieren und zu sprechen.
Der akinetische Mutismus ist noch seltener und wird in der Regel durch eine schwere Hirnschädigung verursacht. Genaue Zahlen zur Prävalenz dieses Zustands sind schwer zu ermitteln, da er häufig in Verbindung mit anderen neurologischen Zuständen auftritt.

Der totale Mutismus, bei dem das Individuum in allen Situationen nicht spricht, ist äußerst selten. Es kann als Reaktion auf ein Trauma oder eine extrem stressige Situation auftreten.

Das Verständnis der Prävalenz dieser Störungen ist wichtig, um angemessene Unterstützung und Ressourcen für betroffene Kinder und ihre Familien bereitzustellen. Obwohl diese Zustände selten sind, können sie erhebliche Auswirkungen auf die soziale, akademische und emotionale Entwicklung eines Kindes haben. Daher ist es wichtig, dass Erzieher und andere Fachleute in der Lage sind, die Anzeichen dieser Störungen zu erkennen und entsprechende Unterstützung anzubieten.

Mögliche Ursachen von selektivem Mutismus

Selektiver Mutismus hat keine einzige Ursache und ist das Ergebnis einer Kombination von genetischen, psychologischen und umweltbedingten Faktoren. Es wird oft mit sozialer Angststörung in Verbindung gebracht und kann bei Kindern auftreten, die besonders empfindlich oder ängstlich sind.
Die Forschung hat eine Reihe von Risikofaktoren identifiziert, die zur Entwicklung von selektivem Mutismus beitragen können. Dazu gehören Bindungsunsicherheit, Bikulturalität und Bilingualität, Sprachentwicklungsstörungen und familiäre Stress- und Belastungserfahrungen.

Eine Bindungsunsicherheit kann zum Beispiel entstehen, wenn das Kind nicht sicher ist, ob es sich auf seine Bezugspersonen verlassen kann. Bilinguale und bikulturelle Kinder könnten Schwierigkeiten haben, sich in verschiedenen Umgebungen und Kulturen zurechtzufinden und deshalb bestimmte Situationen oder Personen meiden.

Sprachentwicklungsstörungen könnten dazu führen, dass das Kind Angst hat, falsch zu sprechen oder nicht verstanden zu werden. Anhaltender familiärer Stress und Belastungserfahrungen könnten dazu führen, dass das Kind überfordert ist und sich durch das Schweigen schützt.

Unterschied zwischen Mutismus und Schüchternheit

Obwohl beide Zustände durch Angst gekennzeichnet sein können, unterscheiden sie sich in ihrer Schwere und in der Art und Weise, wie das Kind auf stressige Situationen reagiert. Schüchterne Kinder können sich anpassen und Strategien entwickeln, um mit ihrer Angst umzugehen, während mutistische Kinder oft erstarren und unfähig sind, zu sprechen. Ein mutistisches Kind zeigt keine Verbesserung der Symptome mit der Zeit, was bei schüchternen Kindern oft der Fall ist.

Manifestationen von selektivem Mutismus im Kindergarten

Im Kindergarten kann sich selektiver Mutismus auf verschiedene Arten manifestieren. Einige Kinder könnten darauf bestehen, in bestimmten Situationen oder in Anwesenheit bestimmter Personen nicht zu sprechen. Andere könnten stumm bleiben, wenn sie direkt angesprochen werden oder wenn sie aufgefordert werden, eine Aufgabe zu erfüllen.

Eltern berichten oft, dass ihr Kind zu Hause normal spricht, aber in der Schule oder im Kindergarten schweigt. In einigen Fällen kann es sogar zu einer übermäßigen Gesprächigkeit zu Hause kommen, als würde das Kind das Schweigen des Tages nachholen.

Was tun bei Mutismus?

Wenn ein Kind Anzeichen von Mutismus zeigt, ist es wichtig, professionelle Hilfe zu suchen. Dies kann durch einen Kinderarzt oder einen Spezialisten für Kinder- und Jugendpsychiatrie geschehen. Es ist wichtig, die Ursachen des Schweigens des Kindes zu verstehen, um eine geeignete Therapie zu entwickeln.
Die Unterstützung durch eine pädagogische Fachkraft kann ebenfalls entscheidend sein. Sie sollten das Kind nicht unter Druck setzen oder versuchen, es zum Sprechen zu zwingen. Stattdessen sollten sie das Kind in den Alltag einbinden und ihm Zeit und Raum geben, um sich wohl und sicher zu fühlen. Es kann hilfreich sein, bestimmte Rituale und Routinen zu etablieren, die dem Kind Struktur und Vorhersehbarkeit bieten. Darüber hinaus sollten sie die Stärken und Interessen des Kindes fördern und ihm Möglichkeiten zur nonverbalen Kommunikation bieten.

Mögliche Behandlungsansätze für selektiven Mutismus

Es gibt verschiedene Behandlungsansätze für selektiven Mutismus, darunter kognitive Verhaltenstherapie (KVT), Spieltherapie und familiäre Interventionen. KVT kann besonders effektiv sein, da sie darauf abzielt, die angstauslösenden Gedanken und Verhaltensweisen zu identifizieren und zu ändern. Bei jüngeren Kindern kann die Spieltherapie dazu beitragen, das Sprechen in einem weniger bedrohlichen Kontext zu üben.

Familiäre Interventionen sind ebenfalls wichtig, um das Familiensystem zu stärken und zu gewährleisten, dass die Eltern effektive Strategien zur Unterstützung ihres Kindes haben. Dies kann beinhalten, die Eltern darüber zu informieren, was selektiver Mutismus ist, wie sie ihr Kind unterstützen können und wie sie effektive Kommunikationsstrategien anwenden können.

Bei schweren Fällen kann eine medikamentöse Behandlung in Erwägung gezogen werden. Dies sollte jedoch immer die letzte Option sein und nur unter Aufsicht eines Kinderpsychiaters erfolgen.

Die Zusammenarbeit zwischen Familie, Schule und Therapeuten ist entscheidend, um eine kohärente und unterstützende Umgebung für das Kind zu schaffen.

7 Beispiele wie sich selektiver Mutismus im Kindergarten äußert

Selektiver Mutismus kann sich in einer Vielzahl von Verhaltensweisen äußern, besonders in Umgebungen wie dem Kindergarten, wo das Kind einer Menge neuer Situationen und Menschen ausgesetzt ist. Hier sind 10 Beispiele, wie sich selektiver Mutismus bei Kindern im Kindergarten äußern kann:

  1. Das Kind antwortet nicht auf direkte Fragen oder Anweisungen, trotz sichtbarer Zeichen des Verständnisses.
  2. Es vermeidet den Blickkontakt, besonders wenn es direkt angesprochen wird.
  3. Das Kind wirkt starr oder "eingefroren" in bestimmten Situationen, besonders in solchen, die eine verbale Reaktion erfordern würden.
  4. Es zeigt Anzeichen von extremem Unbehagen oder Stress in sozialen Situationen, besonders in Gruppeneinstellungen.
  5. Das Kind kommuniziert durch nonverbale Methoden wie Zeigen, Kopfnicken oder Schütteln, oder durch Mimik und Gestik, spricht aber nicht.
  6. Es spricht frei und offen zu Hause, aber schweigt vollständig oder spricht nur flüsternd im Kindergarten.
  7. Das Kind zieht sich in sozialen Situationen zurück und neigt dazu, allein zu spielen oder sich von Gruppenaktivitäten fernzuhalten.

Es ist wichtig zu beachten, dass jedes Kind einzigartig ist und nicht alle Kinder mit selektivem Mutismus eines dieser Verhaltensweisen zeigen wird.

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Praxisstrategien zur Unterstützung von Kindern mit selektivem Mutismus

ErzieherInnen sind oft die ersten, die selektiven Mutismus bei Kindern bemerken. Sie sind in einer einzigartigen Position, um Strategien zu implementieren, die das Kind unterstützen und den Übergang zur verbalen Kommunikation erleichtern. Hier sind einige Strategien, die implementiert werden können:

1. Akzeptanz und Verständnis
Es ist wichtig, das Kind so zu akzeptieren, wie es ist, und ihm zu signalisieren, dass es auch ohne Sprache wertvoll und willkommen ist. Auch sollte das Kind nie zum Sprechen gezwungen werden. Solcher Druck kann die Angst des Kindes erhöhen und ist in der Regel kontraproduktiv.

2. Schaffung einer sicheren Umgebung
Das Kind sollte sich in der Umgebung sicher und akzeptiert fühlen. Das bedeutet, das Kind nicht ständig nach seinem Schweigen zu fragen oder es in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stellen. Anerkennung und Lob sollte für alle Anstrengungen des Kindes gegeben werden, auch wenn sie nicht-sprachlich sind.

3. Einführung von Sprache auf natürliche Weise
Versuchen Sie, Gespräche zu führen und Fragen zu stellen, ohne eine verbale Antwort zu erwarten. So kann das Kind die Chance bekommen, sich an die Stimme und das Sprechen zu gewöhnen, ohne sich unter Druck gesetzt zu fühlen.

4. Enge Zusammenarbeit mit Eltern und Therapeuten
Es ist wichtig, in engem Kontakt mit den Eltern und gegebenenfalls mit Therapeuten zu stehen. Gemeinsam können Strategien entwickelt werden, die auf die Bedürfnisse und Fortschritte des Kindes zugeschnitten sind.

Abschließende Gedanken

Selektiver Mutismus ist eine komplexe Störung, die besondere Sorgfalt und Geduld erfordert. Für ErzieherInnen ist es eine große Herausforderung, aber auch eine Gelegenheit, sich in Geduld, Akzeptanz und unterstützender Kommunikation zu üben. Jeder Fortschritt, den ein Kind macht, ist ein Sieg, der gefeiert werden sollte. Mit kontinuierlicher Unterstützung, Förderung und Zusammenarbeit zwischen Erziehern, Eltern und Therapeuten kann jedes Kind lernen, seine Ängste zu überwinden und seine Stimme in seiner eigenen einzigartigen Art und Weise zu finden und zu nutzen.

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